Wie muss es wohl sein, jeden Monat am Existenzminimum zu leben, in einer Wohnung in der es eiskalt ist, mit Vorräten die dank des knappen Budgets auch mehr als kläglich ausfallen. Jeden Tag zwingt man sich aus dem Bett um zur Universität zu fahren, um dort an einer Dissertation zu schreiben. Doch euer betreuender Doktorvater ist schon seit einiger Zeit verschwunden und so schwelgt ihr lieber im Selbstmitleid, als euch tatsächlich mit eurer Thematik zu beschäftigen. Dann stürzt das Nachbargebäude auf dem Unigelände ein und ihr müsst früher nach Hause. Auf dem Rückweg verschlägt es euch in ein kleines Antiquariat und mehr aus Gewohnheit fragt ihr nach einem bestimmten Buch. Ein Fluch soll darauf liegen. Jeder, der es zu lesen bekommt, stirbt danach. Ihr rechnet eigentlich nicht mit einer Antwort, doch wie es der Zufall so will, liegt das Buch in einer Kiste und die aktuelle Aushilfe hat keine Ahnung vom Wert dieses Buches. Ihr geht nach Hause und lest es. Und ihr kommt einem Geheimnis auf die Spur, das in einer kleinen Mixtur liegt, die – richtig dosiert – Zugang zu der Troposphere schafft. Einem wundersamen Ort, der aus Gedanken errichtet ist und der seinem Besucher den Eingang zu den Gedanken anderer Menschen öffnet. Doch genau die Seite mit der Mixtur fehlt. Willkommen in Ariel Mantos Welt.

Ariel Manto ist eine Frau, die sich intensiv mit Gedankenexperimenten beschäftigt, darüber mehr oder weniger auch ihre Disseration schreiben will, sexuell sehr offen und ausschweifend ist und trotzdem genau deshalb oft in Selbstmitleid versinkt. Ihr Lebenstil entspricht nicht der Norm, aber sie will es nicht anders und schämt sich doch in der Öffentlichkeit dafür. Als sie dann den ehemaligen Priester Adam trifft, der in seiner Zuneigung zu ihr so rein und ehrlich ist, verschließt sie sich ihm. Trotz dieser Eigenart liebt Ariel es, Dinge wissenschaftlich oder auch philosophisch zu erläutern, kann Zusammenhänge herstellen und lässt gleichzeitig auch neue Blickwinkel zu. Sie ist eine intelligente Frau. Als sie dann in der Troposphere landet, kann sie es selbst noch kaum glauben, doch muss sie bald feststellen, dass dieser Ort gefährlich ist. Denn jemand ist hinter ihr her. Als Adam versucht sie zu beschützen, beschließt sie, dass sie untertauchen muss. Vor den gefährlichen Männern und ihren eigenen Gedanken. Doch das, was sie durch das geheimnisvolle Buch erlangt hat, lässt sich nicht so einfach aufgeben.

The End of Mr Y, der Titel des besagten Buches bleibt hierbei nicht nur ein Titel. Die Geschichte des Mr. Y wird ebenso erzählt, wie die Reise Ariels. Obwohl Ariel hier eine Protagonistin ist, mit der ich mich sehr gut identifizieren kann, steht sie doch oft auf einer wackeligen Grenze zur enervierenden Persönlichkeit. Dies kann einigen Lesern missfallen, deren Lebensstil sich von Ariels unterscheidet. Dieses Buch jedoch ist intelligent, interessant, regt zum eigenen Denken an und erzählt nebenbei auch noch eine spannende Geschichte über Gut und Böse, über Freundschaft und ein bisschen über Liebe, über Vertrauen und Wissen und die Macht, die sich aus diesem Wissen ergibt. Wenn wir die Gedanken anderer lesen könnten, würden wir das wirklich immer wollen? Wenn wir die Vergangenheit ändern können, würden wir es tun, auch wenn es Risiken birgt? Würden wir Menschen davon abhalten, Dinge zu tun? Oder würden wir anfangen, die Menschen und ihre Handlungen um uns herum besser zu verstehen? Ist es wirklich gut, alles über einen Menschen zu wissen?


4/5