Von rebellischen Töchtern und verblendeten Vätern

Schon der Beginn des Klappentextes der deutschsprachigen Ausgabe zeigt uns, dass diese Adaption aus dem Hogarth Shakespeare Projekt seinen Fokus verschiebt. Sowohl Hexensaat von Margaret Atwood als auch Der weite Raum der Zeit von Jeanette Winterson waren inhaltlich und auch erzählerisch eher eine Enttäuschung. Sie hielten sich zu sehr an das Original, waren eben nur eine modernere Nacherzählung ohne großen Eigenanteil der Autoren. Dieser Aspekt des Projektes hat mich sehr enttäuscht. Die Adaptionen wirkten zu sehr gewollt, als das ein Kenner der Shakespeare Werke wirklich seine Freude daran gehabt hätte.

Doch Shylock merkt man die Handschrift seines Autors an. Howard Jacobson traut sich, sich vom Original (Der Kaufmann von Venedig) zu entfernen. Aber niemals soweit, dass man als Leser keine Verbindungen mehr zum eigentlichen Werk erkennen kann.

Doch worum geht es?

Zuallererst geht es um den Juden Strulovitch, dessen aufsässige und eigenwillige Tochter ihm Kopfzerbrechen bereitet. Er ist ein Kunsthändler im sogenannten Goldenen Dreieck, verlor, als das Kind 14 war, seine Frau, die nun ans Bett gefesselt, und nicht mehr sie selbst, in den oberen Etagen des Hauses dahinvegetiert und wünscht sich für sein Mädchen Beatrice einen jüdischen Mann. Doch Beatrice hat genug vom ewigen Jüdischsein ihres Vaters. Sie wünscht sich Unabhängigkeit und Freiheit: Freiheit von ihren Eltern und von dem Stamm, in den sie unfreiwillig geboren ist. Denn ihr Vater hat ihr das Leben zur Hölle gemacht. Immer war er da, wo sie auch war. Hat sie blamiert vor den Jungs. Sie an den Haaren nach Hause geschliffen. Als sie den jungen Fußballer Howsome kennen lernt, droht die Situation zu eskalieren.

Durch ihre neue Liebe gerät sie in andere Kreise des Goldenen Dreiecks. D’Anton, ebenfalls ein Kunstverständiger, entdeckt das Mädchen in seinem Unterricht und führt sie in das Haus seiner guten Freundin Plurabelle- auch Plury genannt – ein. Die Beziehung zu Howsome wird immer ernster. So ernst, dass Strulovitch verlangt, dass sich der Mann, der seine Tochter umwirbt, beschneiden lässt.

Die beiden Seiten des Romans

Der Roman ist gegliedert in zwei Handlungsabschnitte, die am Ende (natürlich) zusammen laufen. Die Kapitel rund um Plury und D’Anton sind sehr schnell, vielleicht ein Zeichen der Schnelllebigkeit der Jugend im krassen Gegensatz zu den „Alten“. Diese werden repräsentiert durch Strulovitch und einem anderen Juden namens Shylock. Einer Figur, die direkt nach dem Ende des Shakespeare Werkes in dieses Buch gefallen zu sein scheint. Die beiden Juden lernen sich auf einem Friedhof kennen und fortan ist Shylock Strulovitch‘ Gast. Die Gespräche der beiden Männer bilden den Mittelpunkt des gesamten Romans. Immer wieder umkreisen sie das eine Thema: Das Judentum. Ihre Identifikation sowohl mit dem Glauben als auch mit dem Jüdisch sein im Allgemeinen.

In diesen Gesprächen steckt das Herzblut des Autors, dass merkt man allein an der Qualität der Sprache. Hier trifft ein weltlicher Jude auf einen gläubigen und beide sind in ihren Ansichten stark gefestigt. Und trotz unterschiedlicher Meinungen beleidigen sie sich nicht, sondern diskutieren weiter, akzeptieren sich so zusehends. Beide scheinen auch eine eigene Art von Humor zu besitzen, die immer dann am stärksten Auftritt, wird dem anderen die Doppelmoral seiner Auffassung dargelegt.

Es scheint unter den beiden Juden kein anderes Thema zu geben als ihre Identifikation mit dem was sie sind und dem was die Welt in ihnen sehen mag. Dadurch bekommt aber das Gesamtwerk eine eigene Tiefe und einen eigenen Charakter, was mir persönlich bei den anderen Shakespeare Adaptionen so schmerzlich fehlte.

Insgesamt

Dieser Roman macht vieles richtig. Er entfernt sich weit genug vom Original, um eigenständig zu sein, aber nicht zu sehr, dass es gar nicht mehr Der Kaufmann von Venedig ist. Durch die besondere Stärke der Charaktere Strulovitch und Shylock wirken die anderen Personen (D’Anton, Plurabelle, Barnaby u.a.) und ihre Handlungsstränge eher schwach und nichtig. Trotzdem fügt sich am Ende alles zusammen. Jacobson versucht an einigen Stellen auch eine Art Interpretation des Originals. Das gelingt hier sehr gut und honoriert in der Gesamtheit Shakespeares Wert.


4/5