Natascha liebt Kenyatta. Und Kenyatta liebt Natascha. Das will sie zumindest glauben.

Schon bei ihrer ersten Begegnung zeigt sich, was für ein Mensch dieser große schwarze Mann ist. Unsere beiden Protagonisten treffen sich in einer Diskothek und ohne viele Worte stempelt er sie – eine weiße Lehrerin – als Rassistin ab. Es entwickelt sich ein Streitgespräch, dass am Ende in einer Beziehung mündet.

Doch es gibt da etwas, was zwischen ihnen steht. Immer wieder zeigt Kenyatta Natascha ihr rassistisches Denken auf, ihre Vorurteile gegenüber Schwarzen –  seien sie nun bewusst oder unbewusst.
Natascha liebt diesen Mann. Der Leser lernt sie als eine typische weiße Frau kennen, die in ihrem Leben immer wieder von Männern ausgenutzt wurde und das Gefühl hat, in der Gesellschaft nicht wirklich anerkannt zu sein. Dieser Mann – dieser große schwarze, gut aussehende und muskulöse Mann – ist der erste, der sie wirklich zu akzeptieren scheint. Er schenkt ihr Liebe und offenbart eine völlig neue Welt der körperlichen Lust. Lust, die mit Schmerz verbunden ist, mit Unterwürfigkeit und mit Abhängigkeit. Denn sie ist seine Sub und er der Herr. Sein Wunsch ist ihr Befehl. Dafür wird sie belohnt.

Natascha ist willens alles dafür zu tun, ihn glücklich zu machen. So ist es wenig verwunderlich, dass sie fast sofort zustimmt, als Kenyatta ihr ein ungewöhnliches Experiment vorschlägt: Seine Rasse musste 400 Jahre lang unter dem weißen Mann leiden. Um ihre Beziehung auf eine andere Ebene zu heben, muss sie ihn in Gänze verstehen können. Und das schafft Natascha nur, wenn sie dazu 400 Tage dasselbe durchleiden muss. Erst dann und wirklich erst dann kann sie bereit sein, seine Frau zu werden.

In diesen 400 Tagen erlebt Natascha mehr als sie sich je hätte vorstellen können. Von der Erniedrigung und Einengung eines Sarges, indem sie tagelang gefangen gehalten wird, bis hin zu Sklavendiensten im Haushalt und auf dem Feld, muss sie alles ohne zu murren hinnehmen. Kenyatta ist ihr Sklavenhändler und darf mit seinem Eigentum machen, was er will.

Kenyatta ist ein psychopathisches Arschloch.

Anders kann man es nicht sagen. Schon bei ihrer ersten Begegnung – die im übrigen als konstruiert und unglaubwürdig daher kommt – wird dies deutlich: Wie er mit ihr redet und wie er sich ihr gegenüber gibt, ist nicht von Beginn an klar, welche Intentionen dieser Mann verfolgt. Ist er einfach nur wütend und will seinen Hass heraus lassen oder ist es einfach seine spezielle Art Frauen anzumachen. Beide stehen auf einer Treppe in einer Diskothek, um sie herum spielt laut Musik und doch lässt Natascha sich auf einen Disput über Rassenhass und ihren eigenen Rassismus ein, der bereits mit der ersten Minute ihrer Begegnung beginnt.

Nataschas Figur spiegelt eine schwache Frau wider. Eine Frau, die gerne etwas aus ihrem Leben machen würde. Die sich ungeliebt und missachtet fühlt. Sie lässt selbst kein gutes Haar an sich und ist Männern gegenüber völlig naiv. So empfindet man beim Lesen auch wenig Mitleid bei all den Dingen, die sie erleiden muss. Kenyattas Charakter hingegen stellt sich, in einer Reihe voll unsympathischer Charaktere, noch über den von Natascha. Er ist der schwarze Mann. Alle behandeln ihn ungerecht, einfach jeder, der nicht schwarz ist, ist ein Rassist oder besitzt zumindest ein solches Gedankengut.

Seine Rasse musste jahrhundertelang leiden und das soll nun gerächt werden. Nur weil er schwarz ist. Im Verlauf der Geschichte wird deutlich, dass er selbst eine solche Zurückweisung, Anfeindung oder Rassenhass nie selbst so wirklich erlebt hat. Er ist erfolgreich in seinem Job und alles, was er über den Rassenhass weiß, ist aus einem Buch, dass seine Mutter ihm gegeben hat.

Nur weil er schwarz ist.

Kenyatta ist selbstgerecht. So selbstgerecht, dass er andere unfair behandelt. Doch in dem WAS er tut, wenden wir uns dem interessanten Teil der Geschichte zu. Wrath James White schafft durch Nataschas Gefangenschaft und ihr Leben in der Sklaverei ein passendes Pendant zu den Jahren der Erniedrigung einer ganzen Rasse. Zu jedem einzelnen Abschnitt – sei es nun die Überführung in einem Schiff, der Sklavenhandel und die Ausbeutung als Arbeitskraft bis hin zur offenen Rassentrennung in der Öffentlichkeit – lässt sich Kenyatta (durch den Autoren) etwas Passendes einfallen. Er webt dabei zum Ende hin sogar sein Umfeld und seine Bekannten mit ein, so dass ein komplettes und sehr stimmiges Bild entsteht. Das zeugt von Kreativität und war wirklich interessant zu verfolgen.

Das ist es auch, was am Ende von diesem Thriller übrig bleibt. Man verlässt das Buch mit einem guten Gefühl. Beim Lesen erwacht im Leser das, für die Festa-Bücher fast typische, Gerechtigkeitsgefühl: Was dem Protagonisten zustößt ist unfair und manchmal sogar unmenschlich. Die agierenden Charaktere verstärken dieses Gefühl noch. Es gibt Stellen, da möchte man einfach nicht mehr weiter lesen. Man weiß, es wird nicht viel Gutes geschehen. Aber wenn man bis zum Ende durchhält, wird man immer wieder belohnt.
400 Jahre der Erniedrigung ist ein Buch über die Sklaverei, Rassismus und die Liebe eines Mädchens zum falschen Mann.


3.5/5