High-Rise erzählt die Geschichte des Lebens in einem Hochhauskomplex. Von Anthony Royal erdacht und erbaut, ist es nun bezugsfähig. Es dauert nicht lange und jedes einzelne Apartment hat seinen Bewohner gefunden.

Für Dr. Laing soll es ein Neustart werden.

Das 40 Stock hohe Gebäude, in dem er auf einer der mittleren Etagen sein Apartment bezieht, ist fortan sein Zuhause.  Wer nicht arbeiten geht, muss das Gebäude nicht mehr verlassen. Einzelne Etagen bieten alles, was die Bedürfnisse des alltäglichen Lebens so hervorbringen: Kindergärten, Schwimmbäder, Restaurants und vieles mehr.
Dr. Laing, der zu Beginn dieser Geschichte noch immer seiner Tätigkeit als Dozent außerhalb des Gebäudes nachgeht, merkt bald, dass sich still und leise eine Veränderung anbahnt.

Schon ärgert er sich über die Nachbarn, die über ihm wohnen, mit ihren lauten Partys und ihren Flaschen, die sie achtlos unter sich werfen und die auch auf seinem Balkon zerschellen. Das Stromnetz ist überlastet, ständig fällt das Licht aus und es wird immer kälter. Die Menschen beginnen, ihren Müll aus dem Fenster auf die Autos zu werfen oder sie gleich im Flur stehen zu lassen.

Als er dann mit  Royal zu seinem allwöchentlichen Squash-Spiel verabredet ist und Laing stattdessen in eine Party stolpert und wieder nach unten geschickt wird, dämmert es ihm. Hier gibt es eine Hierarchie, deren Machtverhältnisse nicht lange unausgesprochen bleiben werden.

Ein Spiegel der Gesellschaft

Wilder, ein Bewohner der unteren Etagen, erkennt das Eigenleben des Hochhause schon viel früher und macht es sich zum Ziel, nach oben aufzusteigen. Er schreibt selbst von einer Kristallisierung der klassischen Ober-, Mittel- und Unterschicht. Dabei bildet die zehnte Etage eine klare Grenze zwischen den Menschen der unteren Apartments und denen von der elften bis vierunddreißigsten Etage. Die oberen fünf Etagen, getrennt durch eine Restaurantetage, bilden die Oberschicht.

In der Geschichte der Menschheit gab es immer solche, die herrschen und solche, die beherrscht werden. Solche, die oben stehen und solche, die unten sind.
Die Symbolik eines Hochhause könnte eine solche Hierarchie nicht besser verdeutlichen. Sei es nun durch Zufall oder durch die Preise der Apartments, so sind die jeweiligen Etagen genau mit den Menschen bevölkert, die man aus unserer Realität aus betrachtet, in die entsprechende „Schicht“ sortiert hätte. Und auch das Verhalten der Menschen spiegelt Gesellschaft wider:

Während die unteren Etagen sehr schnell „verwildern“ und erkennen, was sie ausmacht und dass „die da oben“ sie nicht mehr in ihren Etagen haben wollen, so kann die Mittelschicht kaum glauben, dass tatsächlich ein Wandel stattfindet, begreift jedoch, dass etwas im Gange ist. Nur die obersten verschleiern zunächst ihren Blick und wägen sich in ihrer alten Ordnung, doch als das Chaos auch sie erreicht, wird schnell klar, dass sie bestimmen wollen und werden, wer nach oben darf und wer nicht.

Doch auch die Schichten sind in sich gespalten. Bilden sich in jeder Schicht bald erst Gruppen, lösen diese sich bald auf und jeder kämpft um sein eigenes Apartment. Jeder ist sich selbst der Nächste.

Wilder, Laing, Royal

Mit drei Repräsentanten – jeder aus einer anderen „Schicht“ – knüpft der Autor selbst für den Leser hier die Beziehungen zu der Geschichte und ihren Bewohnern. Abwechselnd verfolgen wir den Kameramann Wilder, der seine Familie aufgibt, um sich nach oben zu kämpfen, erst noch aus keiner Ernsthaftigkeit heraus, später dann um sich zu beweisen.

Laing hingegen, ein klassischer Bewohner der Mittelschicht, beobachtet die Situation sehr genau. Anders als Wilder, der stark auf Aktion drängt, versucht es Laing mit Worten und Abschottung. Er begreift, was vor sich geht. Und er begreift auch, sollte es zu einem großen Bruch kommen, er überhalb einer bestimmten Etage sein muss, denn sonst kann er sich und das, was er Familie nennt, nicht retten.

Royal sieht sich als so etwas wie ein König des Gebäudes. Er war es schließlich, der alles konzipierte und ins Leben rief. Seine Integrität kann nicht angezweifelt werden. Und doch muss auch er erkennen, wenn auch sehr spät, dass das Gebäude ein Eigenleben entwickelt hat und er sich behaupten muss, will er weiter ein Anführer sein.

Besonders verständlich wird in diesem System auch, wie trotz aller Widrigkeiten und dem Kampf untereinander – und sogar, als der erste Tote aufzufinden ist und man meinen könnte, einzelne Persona würden Hilfe von außen suchen oder zurück in die „normale“ Welt flüchten – alle Bewohner zusammenhalten, wenn es um den Schutz ihres Gebäudes geht. Niemand darf wissen, wie es innen abläuft, außer man bewohnt dort ein Apartment. Außenstehende haben dort nichts zu suchen, haben sich nicht einzumischen. Das System und das Gebäude wird gemeinsam verteidigt und nichts könnte in allem logischer sein.

Ein großartiger Roman über Gesellschaft, der nicht nur zu seiner Zeit Bedeutung hatte, sondern auch heute und wahrscheinlich noch weit weit darüber hinaus.


4.5/5