Das Wesen des Kalmars

Der Junge, er kann doch nichts dafür. Wenn er schläft, dann tut er eben Dinge. Doch sein Vater ist kalt zu ihm. Selbst seine Mutter wendet sich von ihm ab. Dann lassen sie ihn allein, schicken ihn von sich weg. Er soll behandelt werden, doch dort ist es schlimmer, als in seinen größten Albträumen. Was der Junge nicht weiß, ist, dass die Wiederkehr ins elterliche Haus eine noch viel härtere Folter sein wird.

Das Wesen des Kalmars und Küss mich, Stalker! sind nur zwei von insgesamt 25 Erzählungen und Gedichten, die in diesem Band versammelt sind. Jede von ihnen ist einzigartig, doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie bewegen sich alle am Abgrund der Menschlichkeit.
Das menschliche Wesen kann dunkler und grausamer sein, als der Leser es erahnen kann. Der Autor nimmt uns an die Hand und zeigt uns seine Galerie. Haben wir uns aus dem einen Abgrund wieder heraus gekämpft, so erwartet uns in der nächsten Erzählung kein Lichtblick.

Daniel Hadrović spielt mit der Sprache.

Ein anderer Autor ordnet seine Erzählungen im Nachwort der experimentellen Literatur zu.
Jede der Erzählungen ist sehr kurz, geht manchmal nur knapp über ein paar Seiten.
In manchen dieser Geschichten verliert sich der Autor oft in seiner Kunst. Er schmückt seine Sätze aus, versucht sie immer bedeutungsvoller klingen zu lassen, als es am Ende ist. Er verliert sich gerade dann in der Kunst und in den Details, so der eigentlich erzählerische Inhalt sehr in den Hintergrund rückt und man sich als Leser fragt, was für eine Geschichte hier am Ende präsentiert wurde. 

Am Ende des Buches gibt es einen kleinen Abschnitt, der den Inhalt einzelner Erzählungen erläutert. Das sind oft auch gerade die, die beim Lesen schon Fragen aufgeworfen haben. Die Erläuterungen geben uns die Möglichkeit, das Geschriebene besser zu verstehen. Würden diese jedoch fehlen, blieben die Fragen unbeantwortet.

Es gibt jedoch genügend Geschichten – und für all die, die Gedichte mögen auch solche – die sowohl die Kunst als auch den Inhalt in einer spannenden Art und Weise vereinen.
Ausnahmslos liegt der Höhepunkt jeder Erzählung in ihrem Ende. Der Leser wird in ein bestehendes Setting hineingeworfen. Wir befinden uns an irgendeiner Stelle, müssen uns irgendwie orientieren. Wir merken durchaus, wie die Geschichte sich immer mehr steigert, bis sich am Ende der Abgrund auftut. Dies geschieht in einem überraschenden Moment oder in einer durchaus nicht zu erwartenden Handlung. So ist meistens bis zum Ende nicht klar, in was für einer Situation sich die Menschen befinden, wer hier der Erzähler ist und welche Gräueltaten uns begegnen können.

Hadrović lässt hier Frauen, Männer und Kinder erzählen, tut das immer kunstvoll. Er spielt mit der Sprache, balanciert mit Worten. Er schmückt seine Sätze, verliert sich oftmals im Detail. Manchmal wird nicht klar, was Wahrheit ist und was Trug. Wo die Realität aufhört und der Horror beginnt.


3.5/5