Jay Gatsby.

Das ist DER große Name in diesem großartigen Roman. Zu Beginn bleibt er allerdings auch nur ein Name, ist mehr ein Schatten als selbst Figur.

Über ihn redet jeder, scheint schon auf einer seiner Partys gewesen zu sein. Nur unser Protagonist noch nicht, der direkt nebenan wohnt. Bis zur ersten Begegnung der beiden ist Gatsby Teil wilder Spekulationen. Niemand scheint etwas Genaueres zu wissen, manchmal nicht einmal wie er aussieht,  oder wo er herkommt. Was er vor dem Leben mit Partys gemacht hat. Aber jeder war schon mal auf einer. Bis wir oder unser Protagonist ihm – dem großen Gatsby – leibhaftig gegenüberstehen dauert es knapp 80 Seiten. Fitzgerald verzichtet – vielleicht auch im Kontrast zu all den wilden Spekulationen und Vermutungen der Gäste, die das Bild eines großen geheimnisvollen reichen Mannes schaffen –  auf einen großen spektakulären Auftritt. Nick Carraway, unserem Protagonisten,  wird nämlich in einem harmlosen Gespräch offenbar, wer sein gegenüber eigentlich ist.

Was Gatsby im Innersten zusammen hält

Doch wer dieser Gatsby im Innersten ist, sollen wir erst nach und nach erfahren. Dabei nimmt ihm der Erzähler zwar viel von seinem Glanz, trotzdem bleibt er durch die treuherzige Erzählung von Nick immer der positivste Charakter.
Neben Gatsby gibt es natürlich noch mehr Figuren, die mehr oder weniger zur Handlung beitragen. Da gibt es Jordan, eine begnadete Sportlerin, deren amouröse Beziehung zu Nick eher oberflächlich bleibt. Oder Tom, ein reicher Mann der sein Vergnügen aber bei den einfacheren Leuten und ihren Frauen (Myrtle) sucht. Und schlussendlich ist da Daisy, ein himmlisches Geschöpf mit einer Stimme wie klingendes Geld. Oder einer Stimme, die nach Geld klingt? Wie war das nochmal, Daisy?

Alle weiteren auftretenden Figuren sind nur Beiwerk, Statisten in einer großen Inszenierung, die doch so herrlich werden sollte.
Denn neben all dem Glamour, den Partys und dem Schwung der 20er Jahre, reduziert sich doch die Geschichte auf eines: die Liebe. Ja, der große Gatsby ist nichts weiter als ein klassischer Liebesroman.Vor fünf Jahren – als alles begann – war es Gatsby, der Daisy verlassen musste. Sie wartete auf ihn, doch er kam nicht zurück. Die Verheißung von Geld und Liebe sollte es für sie nicht geben und so ehelichte sie einen anderen Mann (Tom). Doch Gatsby gab seinen Traum niemals auf. Es ist Daisy die er (immer noch) will. Was er eigentlich begehrt und nicht erkennt, ist die Silhouette der Frau, die er vor fünf Jahren verließ. Eine Glorifizierung der damaligen Liebschaft. Und Nick wird für ihn Mittel zum Zweck.

Doch nicht nur aus dieser Beziehung zieht der eine Nutzen aus dem anderen. Jeder – ausser Nick, der stiller Beobachter ist und nur dann auftritt wenn er gebraucht wird – versucht in seinen Beziehungen zu anderen seinen eigenen Vorteil zu ziehen. Sei es Gatsby, der Nick gebraucht, um an Daisy zu kommen oder Daisy, die Tom wohl nur wegen des Geldes heiratete oder Tom, der seine Frau ausnutzt, um mit einer anderen seinen Spaß haben zu können. Alle sind auf ihren eigenen Vorteil bedacht, egoistisch und handeln dementsprechend.
Jeder Charakter in diesem Buch ist dabei so treffend und mit klaren Worten beschrieben -wie eigentlich alles andere auch – das es eine Schande wäre, auch nur einen einzigen Satz, ja ein einziges Wort zu verpassen.

Die Sprache ist hier Faszination.

Dies ist keines dieser Bücher, in denen man ganze Sätze oder gar Absätze überfliegen kann. Hier hat jeder Satz Bedeutung, ist mit Bedacht gewählt und alle zusammen ergeben diese großartige Geschichte. So unerwartet dieser Roman sich für mich als Liebesgeschichte entkleidete, so unerwartet endete es in einem Drama. Ein Höhepunkt folgt dem nächsten und obwohl die Handlung schnell dahinfließt, so ruhig erzählt Nick Carraway im Gegensatz dazu die Einzelheiten. All diese Elemente – die Atmosphäre, die Charaktere, die schnelllebige Handlung – tragen dazu bei, dass dieser Roman wegen dem was er ist und wegen dem, wie er geschrieben worden ist, nicht ohne Grund zu den modernen Klassikern zählt.

„So kämpfen wir weiter, wie Boote gegen den Strom, und unablässig treibt es uns zurück in die Vergangenheit.“


4.5/5