Ein Lied von Eis und Feuer

Am Anfang gab es nichts. Kein Wind, keine Erde. Nur Niflheim, ein dunkler Ort von giftigen Flüssen, Kälte und Nebel, und Muspell, ein Ort voller Feuer, existierten. Am Rand von Muspell steht Surt mit seinem Flammenschwert, der erst an den Ragnarök diese Position verlassen wird. Zwischen den Welten entstand durch die Lavafälle und Gletscher das Wasser und daraus das Leben. Der Vorfahren aller Riesen, Ymir und die Kuh Aumula, die aus den Gletschern Niflheims mit ihrer Zunge den ersten Gott, Buri, geleckt hat. Später gab es dann Odin, Vili und Ve, die Ymir töteten, um daraus die Welten zu erschaffen. Unter anderem Midgard, die Welt der Menschen, doch aus Asgard, Vanaheim, Hel und andere Welten entsprangen daraus und hatten alle ihre eigenen Geschöpfe. So entstanden die Götter und an den Ragnarök werden sie alle sterben.

Eine prägende Religion

Es ist so eine Sache mit den Göttern. Auf der ganzen Welt gibt es sie und aus ihnen entspringt die Religion. Viele dieser Religionen sind heute ausgestorben und es gibt nur noch die Sagen, die dafür um so bekannter sind, andere Religionen gibt es bis heute und deren Sagen kennen dann jedoch meist nur die, die in diesem Glauben erzogen wurden. Natürlich kennt man ausschnittsweise die Abenteuer von Jesus und seiner Crew, doch in der Popkultur sind es dann doch vor allem die griechischen und nordischen Sagen, die darin verarbeitet werden. Wenn es niemanden gibt, der die Fahne hochhält, kann sich wohl auch niemand beschweren. Auch unsere Wochentage sind von der nordischen Götterwelt geprägt, der Dienstag „Tuesday“ ist Tyr gewidmet, Mittwoch Odin, der Donnerstag Thor und der Freitag Frigg. Aus diesem und einigen persönlichen Gründen, nahm sich der britische Autor Neil Gaiman dem Stoff an und präsentiert einen Geschichtsband zu den überlieferten nordischen Mythen und Sagen.

Prägnante Charaktere

Wie es bei Sagen ist, sind viele im Laufe der Zeit für immer verloren gegangen. Viele Götter, die Erwähnung finden, werden nie ihre Geschichte erzählen können. Doch vor allem bei drei Götter sind die Geschichten erhalten: Allvater Odin, sein Sohn Thor und Odins Blutsbruder Loki. Wer diese Charaktere vor allem aus den populären Marvel-Filmen kennt, wird sich erstmal umstellen müssen, da die Charaktereigenschaften doch recht stark abweichen. Odin ist zwar weise, aber auch gerissen und verschlagen. Nicht nur einmal tötet er durch Hinterlist Unschuldige, um an sein Ziel zu kommen. Auf unserer Welt wandert er verkleidet mit Mantel und Schlapphut und hat seine zwei Raben, die ihm von Ereignissen in allen Welten erzählen. Thor ist zwar stark und mutig, aber auch simpel gestrickt. Er ist leicht reizbar und will am liebsten alle Probleme mit seinem Hammer lösen. Loki hingegen ist der Sohn eines Riesen, der eine brüderliche Verbindung mit Odin einging und deshalb in Asgard weilt. Er ist nicht grundsätzlich böse, aber noch verschlagener und gerissener als Odin und in Selbstverwandlungen bewandert. Seine Kinder sind allesamt Feinde der Götter wie der planetenschlingende Wolf Fenrir, die weltumspannende Midgardschlange und seine Tochter Hel, Herrscherin über die gleichnamige Unterwelt. Mindesten eine dieser Figuren taucht immer in den Geschichten auf.

Treu aber etwas seelenlos

Gaiman bemüht sich, die lückenhaften Geschichten in eine logische Reihenfolge zu bringen. Er beginnt vor dem Anfang und endet nach dem Ende von allem. Dabei scheint er jedoch so viel Respekt vor dem Stoff zu haben, dass er sich nicht traut, die Lücken zu füllen. Auch die Sprache ist untypisch für ihn, klingt dafür sehr nach üblichen Sagensammlungen. So bekommt der Leser zwar authentische, aber keine herausstechende Zusammenfassung. Im Vorwort erwähnt der Autor, dass er die Geschichten zusammengefasst hat aus den verschiedenen Quellen, die ihm vorlagen um die Handlung insgesamt stimmiger zu machen. Er war mehr kurativ, als kreativ unterwegs, was schade, aber nicht unbedingt schlecht ist. Die Geschichten sind meist kurz und interessant. Der Leser erfährt immer etwas neues, auch wenn manchmal Dinge als gegeben hingenommen werden müssen. Ein Glossar am Ende hilft, nochmal Fakten zu einzelnen Orten und Personen nachzulesen.

Solide und informativ

Am Ende erhält der Leser ein Fantasy-Sachbuch. Wer eine Gaiman-typische Geschichte erwartet wird enttäuscht werden. Hier wird ursprungsgetreu jede Geschichte wiedergegeben. Für diejenigen, die einen Einstieg in diese Sagenwelt suchen, ist das Buch ideal. Es ist unterhaltsam und die kurzen Geschichten lassen sich auch noch mal schnell nachlesen. Das Glossar ist gut, um noch einmal Informationen einzuholen. Als Gute-Nacht-Lektüre vielleicht nur bedingt zu empfehlen, da die Götter doch schon ganz schön grausam und brutal waren. Wer trotzdem was über Götter lesen will und auch den Autoren mag, dem sei American Gods ans Herz gelegt, das die ganzheitliche Götterwelt im Amerika der Neuzeit ansiedelt.


3.5/5