Was trug sich zu, dort in der Mangle Street?

Tötete William Ashby wirklich seine viel jüngere und hübsche Ehefrau? Oder  ist er tatsächlich so unschuldig, wie er behauptet? Strick oder Freiheit?

Es ist der erste Mord, dem March Middelton nach ihrer Ankunft bei ihrem Patenonkel Sidney Grice begegnet. Natürlich hat sie viel über ihren Patenonkel gehört, schließlich ist er einer der besten – ach was sage ich? – der beste Detektiv Londons. Überaus klug und über jeden Zweifel erhaben. March hat nicht die Möglichkeiten, sich eine andere Bleibe zu suchen, denn vor dem Gesetz ist sie noch nicht ganz volljährig und ihre Eltern haben sie als Waise zurückgelassen.

Sidney Grice scheint jedoch nicht sonderlich begeistert davon, einen weiteren Mitesser unter seinem Haus zu haben. Der einzige Vorteil, der ihm dieses Mädchen bringt, ist eine eigene Chronistin nun sein Eigen nennen zu können. March ist sichtlich empört. Im Jahr 1882 ist sie eine von ihrem Vater erzogene selbstbestimmte und selbstbewusste jungen Frau, die ihren eigenen Kopf durchsetzt und nicht auf den Mund gefallen ist. So stößt sie an allen Ecken und Enden – besonders bei Mr. Grice und dem Inspektor – auf Widerstand. Sexismus in seiner reinsten Form.

Nun gut. Andere Zeiten, anderes Frauenbild.

Es ist auch eine Frau, die dem Detektiv dann einen Besuch abstattet. Es ist die Mutter der oben erwähnten Ermordeten. Sie bittet im Namen ihres Schwiegersohnes, der im Gefängnis nun auf seine Verhandlung wartet, um Hilfe. Die Frau kann nicht zahlen. March erträgt die Empathielosigkeit und Härte ihres Onkels nicht mehr, der die Frau abweisen will, und springt selbst finanziell ein. Sidney Grice ist sich sicher, dass der richtige Täter bereits gefasst ist. Wer glaubt denn noch den Unsinn vom schlafenden Ehegatten, der nichts von dem Tumult im Nebenzimmer gehört haben will? Ein rothaariger Italiener hat am Vorabend eines von zwei gleich aussehenden Messern gekauft? Klar. Nur March will in den Augen Ashbys die Wahrheit erkennen.

Martin Kasasian baut hier einen durchaus soliden und lesbaren „Who’s dunnit“-Kriminalroman zusammen. Er bedient sich hierbei nicht nur altbekannter Elemente, sondern auch altbekannter Figuren. Ein misanthropischer, egozentrischer Detektiv? Eine in den Grundlagen der Medizin bewanderte, durchaus kluge Chronistin? Wer denkt da nicht zuerst an Sherlock Holmes und Doktor Watson? Obwohl Sidney Grice bei Weitem der unsympathischere Charakter bleibt, der lediglich durch Überheblichkeit glänzt. Er ist es, der alles durchschaut und besser weiß. Und wie auch alle anderen männlichen Personen in diesem Roman sieht er March als eine dumme Frau, deren Horizont nicht weiter reicht als bis zu Tratsch und Backrezepten.

Kasasian zeigt hier natürlich nichts anderes als Authentizität zu seinen Figuren und seinem Setting. Aber dass uns nun auf fast jeder Seite die männliche Abneigung und Überheblichkeit gegenüber dem weiblichen Geschlecht entgegen springt, macht es nicht gerade einfach, ohne genervt zu sein weiter zu lesen. Er übertreibt es förmlich mit der Authentizität. March hingegen kann sich zwar in einer gewissen Weise durch Zynismus und einer scharfen Zunge retten, dies geschieht aber meistens mehr schlecht als recht. Es gibt Romane und Serien – hier nur angeführt einmal Miss Fishers mysteriöse Mordfälle – die wesentlich charmanter mit diesem Thema umgehen.

Noch mehr Kritik

Dazu kommt, dass sowohl die Szenerie (Ehemann schläft im Nebenzimmer, während seine Frau nebenan brutal ermordet wird) keinen besonderen Wiedererkennungswert besitzt, noch der eigentliche Täter irgendwie versucht wurde clever zu verschleiern. Der Autor hätte auch einen Leuchtpfeil benutzen können. Ob das nun mit meiner bescheidenden Erfahrung in diesem Genre zu erklären ist, oder es einem „ungeübten“ Leser ebenso entgegen springen würde, kann ich an dieser Stelle natürlich nicht beurteilen.

Wie gesagt, ist dieser Roman durchaus solide konzipiert. Eine letzte Kritik hätte ich dann aber doch noch. Anders als Watson (diese Verbindung zu dem berühmtesten Paar der Kriminalgeschichte war nun so offensichtlich, dass selbst der Autor eine allzu offensichtliche und wenig gelungene Anspielung in den Roman einbaute) bekommt March eine gewisse emotionale Tiefe spendiert. Dies geschieht durch Einschiebungen in Form von Rückblenden und inneren Monologen, die Erinnerungen an früher hervorholen. In diesem Früher war March eine liebende Frau, die ihrem Vater half und einem bis zum Ende hin unbekannten Liebhaber verehrte. Es scheint etwas Dramatisches passiert zu sein, denn sie will nicht darüber reden. Auch diesen Zweig der Erzählung hätte es meiner Ansicht nach nicht gebraucht.

Im August diesen Jahres erscheint der zweite Band beim Verlag. Ich werde diesen wahrscheinlich auch noch lesen und bin gespannt, ob eine Steigerung des Autors erkennbar ist. Sollten die vorgenannten Kritikpunkte jedoch erneut auftreten, werde ich die Reihe (im Englischen sind bereits vier Bände erschienen) nicht weiter verfolgen.


3/5