„Letztens hatte ich den Gedanken, dass jeder, der das Wort Gentrifizierung kennt, Teil derselben ist.“
(aus: Das Känguru Manifest von Marc Uwe-Kling)

Jarett Kobek liebt Wörter. Einige Wörter liebt er besonders, denn er muss sie uns auf jeder Seite unter die Nase reiben. Gentrifizierung ist nur eines dieser Wörter.
„Eumelanin in der Basalschicht der Epidermis“ ist die am häufigsten gebrauchte Wortgruppe des Romans. Kobek weist uns damit nur auf die Hautfarbe der Personen hin. Aller jemals im Buch genannten Personen.

Achso, was Gentrifizierung ist? Außer das es sich hierbei um ein Fremdwort handelt – was ihr sicherlich selbst bemerkt habt – könnte ich natürlich sagen, dass ihr es nachschlagen sollt. Entweder ihr wisst eben, was es bedeutet oder ihr seid zu faul zum Nachschlagen. Mach ich aber nicht. Hier die Wikipedia-Definition:

„Als Gentrifizierung („niederer Adel“), auch Gentrifikation, bezeichnet man den sozioökonomischen Strukturwandel bestimmter großstädtischer Viertel im Sinne einer Abwanderung ärmerer und eines Zuzugs wohlhabenderer Bevölkerungsgruppen.“

Aber zurück zum Buch.

Jarett Kobek – von dem ich nicht weiß wie viel Eumelanin in der Basalschicht seiner Epidermis vorhanden ist – holt hier weit zum Rundumschlag gegen alles und jeden aus. Insbesondere betroffen sind davon Unternehmer, Unternehmer und Menschen, die sich den Erstgenannten kompromisslos unterwerfen. Gebettet ist das Ganze in einen fiktiven Roman. Wir begleiten hierbei verschiedene Figuren. Der größte Fokus liegt auf Adeline, einer Comiczeichnerin im besten Alter. In ihrer Jugend waren sie und ein Freund mittelmäßig erfolgreich mit einem Comic, für den sie die Zeichnungen lieferte. Mit der Zeit verblasste ihre Bekanntheit aber in Zeiten des Internets ist kaum jemand wirklich vergessen. Schon gar nicht, wenn man den größten Fehler des 21. Jahrhunderts begeht.Und besonders nicht, wenn man neben unbequemen Meinungen auch die Idole der Jugend angreift.
Ein anderer Strang erzählt die Geschichte von Ellen, die doch eigentlich niemanden etwas getan hat, deren Nacktfotos aus ihrer Jugend trotzdem im Internet landen.

Neben diesen fiktiven Figuren und deren Lebenswege streut der Autor jede Menge Informationen ein, die wahrscheinlich mehr oder weniger der Wahrheit entsprechen. Oder entsprechen können, denn es sind so viele Details, Namen, Vorgänge, Bücher, Musik etc. pp., dass es für den Laien (mich) unmöglich macht, wirklich alles nachzuprüfen.
Das ist eigentlich der große Knackpunkt des ganzen Romans. Kobek will erzählen, will schimpfen auf das Internet, seine Erfinder und die Unternehmer, die andere Menschen ausbeuten, nur um Geld zu verdienen. Dabei geht es schon lange nicht nur um das Internet, wie sein Titel vielleicht suggerieren möchte. Jeder, der in die Reichweite Kobeks kommt wird schonungslos niedergemacht. Dabei sind viele Dinge bereits bekannt oder im Bewusstsein der Menschen angekommen. Aber das ist kein Hindernis.

Auf der anderen Seite webt er geschickt fiktive Figuren ein, die ihrem eigenen Erzählstrang folgen, die ihre eigenen Bücher schreiben oder Leute kennen, die Bücher schreiben. Auch diese Literaturen baut der Autor in Vergleiche ein, lässt die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmen.

Woran es dem Roman mangelt

Das tut dem Buch an dieser Stelle nicht gut. Ich hatte das Gefühl, dass der Autor auf etwas aufmerksam machen, Dinge in das Bewusstsein seines Lesers befördern will um diesen dann zum Nachdenken zu bringen. Bei der Fülle der Informationen, die er uns hier bietet, ist es allerdings mühselig auf jeder Seite nachschlagen zu müssen, welches genannte Werk oder welcher genannte Charakter nur der Fiktion des Autors entspringt und welcher eben nicht. Es ist nahezu unmöglich alle literarischen, musikalischen oder medialen Namen und Werke zu kennen. Noch unmöglicher ist es deshalb auch, alles zu glauben, was in diesem Buch steht bzw. sich über die richtigen Dinge Gedanken zu machen. Die oben genannten Wort- und Satzwiederholungen zerren nebenbei auch noch an den Nerven.

Die fiktive Geschichte könnte durchaus interessant sein, ist aber durch die Durchbrechung mit einer großen Menge an Informationen oftmals zäh und langatmig. Der Autor hätte sich zwischen Roman und Sachbuch entscheiden sollen. Manchen Autoren gelingt diese Vermischung, hier ist das eher kritisch zu betrachten.
Noch kritischer sehe ich am Ende des Buches eigentlich weniger diese Vermischung als vielmehr den Mangel an Lösungsvorschlägen.
Man kann sich viel und oft über Sachen beschweren. Es gibt Dinge, die kann einer allein nicht ändern. Dennoch werden hier Problematiken angesprochen, die man durchaus auch für sich selbst schon lösen kann. Aber diesen Schritt wagt der Autor nicht. Er hält sich raus, schreit lieber laut seine Meinung und sein Wissen hinaus, aber wo man wirklich ansetzen könnte, da schweigt er.

 


3/5