Ach Gulliver.

Wie weit bist du doch herum gereist und was bleibt von all deinen Reisen für die Nachwelt? Ein seltsamer Film mit Jack Black und das Erinnern an Liliputanern und Riesen. Ein Kinderbuch haben sie aus deinen Aufzeichnungen gemacht, dabei ist es doch so viel mehr. Völlig verkannt wird heutzutage, dass dein gesamtes Werk eine große Kritik an fast allem ist: an der Gesellschaft, an den Herrschenden, an das Denken. So viele versteckte und offensichtliche Anspielungen auf real existierende Personen, Orte und Systeme, dass man bereits auf den ersten paar Seiten gar nicht lange suchen muss. Liliputaner und Riesen. Als wenn deine Reise nur aus diesen beiden Zielen bestanden hätte. Was ist schließlich mit der fliegenden Insel und den sprechenden Pferden? Kennt die heute überhaupt noch einer?

Ich will euer Gedächtnis mal ein bisschen auffrischen:

Seine Reise führt den unsteten Abenteurer Gulliver – ein verheirateter Mann in seinen Dreißigern – aufgrund eines Unglücks auf die Insel Liliput, wo er gefangen genommen wird. Man beratschlagt nun,  was mit dem Ungeheuer geschehen soll. Denn die Menschen dort sind nicht einmal halb so groß wie Gulliver selbst. Und alles ist dort einfach winzig. Doch so sehr er sich auch anstrengt, die Gunst dieser Winzlinge zu erlangen,  vertrauen tun sie ihm nicht wirklich und so muss er bald fliehen.

Es treibt ihn auf die Insel der Riesen, wo er wiederum wegen seiner Person als Kuriosität gilt und als Ausstellungsstück dient. Ein Mädchen findet besonderen Gefallen an ihm, doch ihrer Obhut wird er bald entrissen. Später dann führt ihn sein Weg zur fliegenden Insel, einem Konstrukt, dass aufgrund von Magnetismus über einem flecken Erde gehalten wird. Obwohl Gulliver dort ein gern gesehener Gast ist, findet er selbst wenig Gefallen an diesem Volk, dass sich so schnell von allem ablenken lässt.

Immer wieder versucht er – auch auf Bitten seiner Frau –  zu Hause einige Zeit zu verbringen, doch es drängt ihn in die weite Welt hinaus. Zuletzt findet er zudem auf seinen Reisen seine Obsession: ein Volk von sprechenden Pferden. Eine Rasse voll intelligenter, vernunftbetonter Wesen, die das Tier Mensch nur halten, damit sie es im Blick haben können. Zum ersten Mal fühlt sich Gulliver verstanden in seinem Denken und Fühlen, es ist diese Rasse, die seine Weltsicht für immer verändern wird.

Von einem der auszog…

Das Buch selbst ist ein Reisebericht – ein zu Zeiten von Jonathan Swift sehr beliebtes Stilmittel. So verlieh man der eigenen Geschichte einen gewissen Hauch von Authentizität, auch wenn der Inhalt oftmals frei erfunden war. Die satirischen Elemente in Gullivers Reisen sind nicht versteckt, sondern meist mehr als offensichtlich. Auch ein Mittel der damaligen Zeit, seine Kritik zu äußern. Anders als heute fiel es der damaligen Gesellschaft leichter, eine Satire auch als solche zu identifizieren, weshalb der Autor – wegen der Gefahr um Leib und Leben – anonym veröffentlichte.

Liest man den Roman in einer Übersetzung, die sich am Original orientiert, bekommt man eine gut lesbare Geschichte. Zugegebenermaßen wiederholen sich an einzelnen Stellen die Diskussionen rund um Gesellschaft, Wissenschaft  und Politik und sind oft zu lang geraten; nichtsdestotrotz  wird das Interesse allein durch die Berichtsform stets aufrecht erhalten und man kämpft sich gern durch einige Durststrecken.

Gullivers Reisen ist soviel mehr als nur ein „Kinderbuch“ oder eine Geschichte über Zwergen und Riesen. Es steckt soviel mehr dahinter als aus heutiger Sicht zu erwarten ist. Begebt euch also ruhig auf eine Reise. Sie wird euch erhellen.


4/5