Wenn man elf Jahre alt ist.

Wenn man elf Jahre alt ist und bereits einen Hormonschub hinter sich hat, so dass man aussieht wie vierzehn, kann das Leben manchmal ganz schön kompliziert sein. Besonders dann, wenn man merkt, dass zwischen den Erwachsenen etwas nicht stimmt, aber niemand einem die Wahrheit sagt. Doch man weiß, dass da etwas ist. Denn der körperliche Schmerz –  hervorgerufen durch die Lügen der Erwachsenen – ist mehr als deutlich.

John Egan ist unser elfjähriger Junge im Körper eines Teenagers. Alles was er will, ist, dass alles so bleibt, wie es schon immer war. Er möchte sich der Liebe seines Vaters und seiner Mutter gewiss sein. Doch irgendwann merkt er, dass alles anders geworden ist. In seinen jungen Jahren kann er noch nicht erfassen, was dieses „anders“ bedeutet und woher es kommt.

John lebt mit seinen Eltern und seiner Großmutter irgendwo in Irland. In der Schule läuft es nicht besonders gut: er hat nur wenige Freunde und gilt als Außenseiter. Zu Hause herrscht immer weniger Harmonie. Sein Vater ist ein egozentrischer und passiv aggressiver Mann. Er beachtet John nur dann, wenn es ihm gerade in den Kram passt. Auch seine Mutter hat sich verändert. Viel weniger lässt sie die Nähe zwischen ihr und ihrem Sohn zu. Schickt ihn immer öfter weg. Und auch zwischen den Eltern ist etwas nicht in Ordnung. Darauf angesprochen weisen sie John jedoch zurück: Alles wäre in Ordnung.

Der menschliche Lügendetektor

John ist ein introvertierter Junge, der eines Tages eine besondere Fähigkeit an sich bemerkt. Es scheint, dass er die Lügen andere Menschen erkennen kann. Zuerst fällt ihm das an seinem Vater auf, der seine Emotionen hinter einer Fassade versteckt. Als John ein kurzes Aufblitzen seiner wahren Emotionen merkt und seinen Vater darauf anspricht, weißt dieser ihn zurück. John reagiert darauf heftig: Ihm wird schlecht und er muss sich übergeben. Er weiß, dass sein Vater gelogen hat und dass er selbst dies erkannt hat. Immer weiter versucht er seine Fähigkeiten auszubauen und sie in der Liste der Lügen festzuhalten.

Währenddessen verliert er in der Schule seinen einzigen Freund und wird zum Mittelpunkt der Attacken seiner Mitschüler. Doch dann kommt die Wende in der Person eines Lehrers. Je besser es für John in der Schule läuft, desto schlechter läuft es für ihn zu Hause. Eines Tages wird er vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie müssen nach Dublin ziehen; Das Verhältnis zur Großmutter, in dessen Haus sie bis dahin gelebt hatten, ist gestört. In der Stadt kommen sie zunächst bei der Schwester der Mutter unter, später dann in einer Sozialwohnung. Dort tritt der wahre Charakter seines Vaters ans Licht. Seine Mutter zieht sich immer mehr in sich selbst zurück, bis John keine andere Lösung mehr sieht und handelt.

Die Krux des Erwachsenwerdens

Die Geschichte von John ist Inhalt eines typischen Coming-of-Age Romanes. Die Erwachsenen bleiben eher dunkel, böse und unnahbar. Oftmals wissen sie nicht, wie sie mit diesem Jungen umgehen sollen. Das wiederum wirkt sich auf die Handlungen und die Gedanken des jungen Menschen aus. Er fühlt sich missverstanden, fehl am Platz, zurückgewiesen. Alles was er will, ist zu wissen wohin er gehört. Er braucht einen Platz an dem ihm Liebe zuteil wird. Doch die Eltern sind an diesem Zeitpunkt schon zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und John hat recht: Sowohl das Verhältnis untereinander als auch das Verhältnis zur Oma ist schon seit Langem gestört. Hier wird die Frage aufgeworfen, wie man als Erwachsener in Problemsituationen mit seinen Kindern umgehen muss. Inwieweit sollte man ihnen die Wahrheit sagen und wie sollte man diese vermitteln? Die Wahrheit ist oft schmerzlich für so einen jungen Menschen, für den die Eltern bis dahin ein großes Vorbild waren, ein Ankerpunkt des eigenen Lebens. Doch alle Erwachsenen in diesem Roman verhalten sich egoistisch, John wird für sie zur Randfigur. Oft geben Sie ihm die Schuld für ihre eigenen Unzulänglichkeiten. Dieser Roman ist traurig. Diese Grundstimmung macht sich schon auf den ersten paar Seiten bemerkbar und zieht sich durch das gesamte Buch.

Erwachsen zu werden ist oft nicht leicht. Man erkennt Wahrheiten, von denen man als Kind noch geschützt war. Eines Tages ist der Punkt erreicht, an dem man sein Kind nicht mehr schützen kann, man ehrlich mit ihm umgehen muss. So brutal die Wahrheit auch manchmal sein kann, ist sie immer noch besser als all die Lügen.


5/5