Er ist es, der hier seine Geschichte erzählt. Nicht eine Autorin, nicht ein allwissender Erzähler. Nein er. Chappy.
Pädophiler Kindermörder. Denn er will, dass die Geschichte so erzählt wird, wie sie wirklich passiert ist. Nicht wie die Welt oder ein Komitee, das über seine Freiheit entscheiden kann, sie sieht. Sie wissen nicht, wie es wirklich war. Wer SIE war. Wer Alice wirklich war. Sie kennen nur die Fakten. Das Blut, die Wunden und seine Neigung. Aber dass er doch alles versucht hatte. Sogar den Wohnort hatte er gewechselt.

Und dann immer diese Briefe. Nichts könnte langweiliger sein, als die Zuschriften voll Hass oder Anerkennung. Doch da ist dieses eine Mädchen. Das versteht er. So wie sie ihn verstehen wird. Auch das Mädchen hat eine Neigung. Sie ist neunzehn Jahre alt und eigentlich nicht sein Beuteschema, aber so wie sie schreibt und wie er sie sich vorstellt, vielleicht würde er eine Ausnahme machen. Immer wieder erzählt sie ihm von Matt, einem dreizehnjährigen Nachbarsjungen, den sie besitzen will. Ihn verführen und mit ihm ficken. Das ist es was sie will, auch wenn sie weiß, dass es verboten ist. Unsittlich. Aber wenn er es doch auch will, dann braucht sie sich nicht zu rechtfertigen. Doch wie verführt man ein Kind?

Er will ihr helfen. Er erzählt wie nebenbei die Geschichte des Mädchens, die sich nicht immer wörtlich in ihren Briefen beschreibt, doch er glaubt sie gut genug zu kennen, um zu wissen, wie es weitergeht. Was wirklich passiert ist. Schnell langweilt sie ihn auch. Nervt ihn. Er will jetzt seine Geschichte erzählen, von seinem Mädchen, seiner Alice. Wie es war, als er selbst Kind war und nur seine Mutter hatte, die Dinge mit ihm anstellte und dann plötzlich verschwand, so als sei es seine Schuld. Wie er seine Neigung entdeckte und vor ihr flüchtete, nur um wieder von ihr eingeholt zu werden. Alice. Sie.

Wir sprechen hier von einem Buch über Sex mit Minderjährigen. Und von Vergewaltigung, aber nicht so, wie wir beim Lesen des Klappentextes glauben würden. Pädophilie ist wahrscheinlich wie Nekrophilie eine Neigung des Menschen, die ihm angeboren ist und die – aufgrund der Wehrlosigkeit, und Ahnungslosigkeit ihrer Opfer – besonders verachtet und bestraft wird.
Was wir allerdings lesen, lässt uns diesen Gedanken in den Hintergrund rücken. Was wir hier erleben sind die Schilderungen eines Mannes, den wir plötzlich verstehen, der mit einer Klarheit und Liebe zum Detail erzählt, dass wir oftmals vergessen, dass es sich bei Alice und Matt nicht um erwachsene Menschen, sondern um Kinder handelt. Das diese beiden Minderjährigen in den Erzählungen aber gar nicht wie Kinder reagieren und sogar recht forsch mit ihrem Gegenüber sind und selbst sexuell aktiv werden, lässt der Gefangene durch seine Erzählungen mehr als glaubhaft werden.

Wie viel dabei von der Autorin beabsichtig als wahre Begebenheit dargestellt werden sollte, oder ob es nur der Fantasie des Protagonisten entspringt, wird am Ende nicht deutlich. Wir wissen nur, dass am Ende alles so geschehen musste, wie es geschehen ist. Die Sprache ist sehr detailreich. Hier werden brutale Szenen und sexuelle Handlungen fast schon poetisch dargestellt. Die Autorin lässt den Protagonisten in seiner Erinnerung alle Einzelheiten wieder aufleben, lässt ihn sich an alles erinnern. Eine Fixierung der Beschreibungen erfolgt oftmals auf die weiblichen und männliche Geschlechtsorgane, sodass man auf fast jeder Seite über erigierte Penisse, feuchte Vaginen und Samenflüssigkeiten stolpert.

Es bleibt am Ende nichts anderes festzustellen, als dass man trotz dessen, was man dort liest und dass man weiß, was man dort liest, nämlich ausgelebte Pädophilie, durch die Art, wie die Autorin ihren Protagonisten sprechen lässt von Seite zu Seite eine immer größere Solidarität mit dem Täter verspürt. Das führt so weit, dass man am Ende Alice ein wenig hasst und genervt ist von ihr, obwohl sie in der ganzen Geschichte (vielleicht) das Opfer ist.
Ich hatte hohe Erwartungen an dieses Buch und es bleibt nur noch zu sagen, dass diese sowohl inhaltlich als auch sprachlich bei Weitem übertroffen worden sind.


4.5/5