Von Regen, Whiskey und elf Leichen

Ein Massengrab wurde gefunden. Den Knochen nach zu urteilen wurden die Leichen dort Anfang des 20. Jahrhunderts begraben. Zuerst wird angenommen, dass hier britische Soldaten aus Rache irische Frauen hingerichtet haben, doch das erklärt nicht die kleinen, an Vodoo-Rituale erinnernden Puppen, die an den Oberschenkelknochen der Opfer gefunden wurden. Detective Superintendent Kathleen Maguire, eine der wenigen Frauen bei An Garda Síochána, der irischen Polizei, will dem auf den Grund gehen, wird jedoch von ihrem Vorgesetzten abgeschossen. Gerade als der Fall zu den Akten gelegt werden soll, taucht jedoch eine neue Leiche auf. Rituell aufgestellt, wurde das Opfer anscheinend bei lebendigem Leib gehäutet und entbeint, an den Beinknochen die Puppen befestigt. Ein Rätsel rund um die irische Mythologie entspinnt sich und dabei hat Katie momentan auch noch mit ihrem Privatleben zu kämpfen.

Klassische Zutaten, interessante Lokalität

Okay gut, der Inhalt liest sich erstmal wie ein klassischer Thriller. Polizist hat ein schweres Leben, schlimmes Verbrechen, das die Polizei vor ein Rätsel stellt. Was an dieser Stelle schon hervorgehoben werden kann, ist die Tatsache, dass wir hier immerhin eine normale Polizistin haben und nicht irgendeinen abgehalfterten Cop im Ruhestand, den irgendwas mit dem Täter verbindet und noch „einen letzten Fall“ lösen will (Ja, ich schaue dich an, Bill Hodges). Weiterhin ist der Schauplatz interessant. Mit dem ländlichen Irland hat der Leser ein schönes, unverbrauchtes Setting. Außerdem ist das Land nicht nur eine Hintergrundkulisse, sondern handlungsrelevant. Graham Masterton geht auf viele irische Eigenheiten, wie die Lucht Siúil / Travellern, das fahrenden Volk, oder den Mythen des Landes und das angespannte Verhältnis mit den Briten ein. Dabei packt er auch die große gälische Keule aus und scheut nicht, den Leser mit vielen irischen Namen zu bombardieren. Aus diesem Grund existiert sogar ein einseitiges Glossar am Ende des Buches. Doof, wenn man es erst nach dem Lesen sieht.

Starker Geschmack, schwach im Abgang

Die Geschichte wird hauptsächlich aus Katies Perspektive erzählt. Wie bei vielen anderen Thrillern auch wechselt die Perspektive. Doch nicht wie so oft zum Täter, sondern meist zu dessen Opfern. Masterton beschreibt hier im Detail, was sie erleben und was sie fühlen. Es ist immer noch ein FESTA-Buch und ich rufe noch einmal „Häutung und Entbeinung bei lebendigem Leibe“ als Schlagwort ins Gedächtnis. Doch trotzdem bleibt das Buch die meiste Zeit harmlos und fokussiert sich sehr auf die Geschichte, was durchaus zu gefallen weiß. Im Übrigen wird dem Leser die Identität des Mörders einigermaßen früh klar. Es scheint mir auch, als würde der Autor es auch gar nicht verleugnen wollen. Durchaus verständlich, da das Motiv wesentlich interessanter ist als das Whosdunnit. Leider fällt gerade bei der Auflösung dann das Buch ab, da die Begründung recht schwach und konstruiert wirkt. Dadurch hat die Geschichte ihren eigentlich guten Lauf vermasselt.

Sláinte

Nun was bleibt? Ist es ein Thriller unter tausenden? Der nächste Versuch eines Horror-Autors, sich im Thriller-Bereich zu versuchen? Nun, wie Stephen King bei Mr. Mercedes merkt man, dass Masterton die meisten Thrillergrundregeln einhält. Trotzdem wirkt sein Einstand wesentlich tiefer als der von King, denn Masterton bezieht sich oft auf reale Geschichte, Kultur und Mythologie und gibt dem Leser einen kleinen Einblick in das irische Leben. Das, sowie eine sympathische Protagonistin und die erfrischende Opferperspektive, machen aus dem Buch einen überdurchschnittlich guten Thriller, der leider über sein Ende stolpert.


3.5/5