Drei Jahre war Shadow im Gefängnis, bis er ein paar Tage früher als geplant entlassen wird. Der Grund: Seine Frau, die er über alles geliebt hat und der einzige Grund war, weshalb er das Gefängnis überstanden hatte, ist bei einem Unfall gestorben. Innerlich leer macht sich der Protagonist auf dem Weg zu ihrer Beerdigung und trifft unterwegs auf einen geheimnisvollen Mann, der sich selbst Wednesday nennt. Er bietet Shadow einen Job an, den dieser nach anfänglichem Zögern annimmt. Ab dort beginnt für ihn eine Reise quer durch Amerika, wo er diverse Aufträge erledigt. Denn Wednesday ist ein Gott, ein alter Gott um genau zu sein, der zusammen mit anderen Göttern über den Glauben der Einwanderer nach Amerika kam. Doch der Glaube verblasste und so verkümmerten die Götter oder starben und müssen sich mit Alltagsjobs oder Gaunereien über Wasser halten. An ihrer Stelle stehen die neuen Götter. Götter der Medien und Götter der Technologien. Und gegen sie will Wednesday in den Kampf ziehen und versucht deshalb die anderen auf seine Seite zu ziehen, während eine geheimnisvolle Organisation versucht, dies zu verhindern. Shadow steht dazwischen und es wird bald klar, dass er eine Rolle in diesem Kampf spielen wird…
Die Geschichte ist von Anfang an interessant erzählt. Sie nimmt schnell Fahrt auf und auch wenn Gaiman sich immer Zeit nimmt, eine Szene aufzubauen, wirkt dies nie gestreckt. Jedes erwähnte Detail hilft, der Szene Glaubwürdigkeit zu verleihen und den Leser versinken zu lassen. Es werden zwischendurch immer wieder Geschichten erzählt, die nichts mit der Haupthandlung zu tun haben, doch trotzdem interessant sind und ein wenig mehr von der Sicht des Autors auf Amerika verrät. Da er selbst aus England nach Amerika ausgewandert ist, versucht er zu beschreiben, wie dieses Land, dass er sich ganz anders vorgestellt hatte, für ihn wirklich ist. Er verbindet das fantastische mit der Realität und zwar so fließend, dass der Leser das Übernatürliche genau so gelassen hinnimmt wie Shadow. Auch der Ansatz der immigrierten Götter ist gelungen. So trifft der Leser Wesen aus verschiedenen Mythologien. Sei es der nordische, keltische, ägyptische oder europäische Mythos. Sie alle gehen anders mit ihrer Existenz am Rande der Gesellschaft um und trauern ihrem alten Leben mehr oder weniger nach. Ihre Namen, die sie offiziell tragen, sind immer ihrem ursprünglichen Namen entlehnt und so macht ist es auch interessant, mit einem Aha-Effekt zu merken mit wem man es zu tun hat.
Neil Gaiman schafft es, auch den Fantasy-Aspekt glaubhaft darzustellen, ohne dabei zu sehr abzuheben. Waren bei Coraline und Der Ozean am Ende der Straße die Welten meist klar getrennt, sind sie in American Gods eher miteinander verwoben. Hier wechseln sich der Alltag einer Kleinstadt mit übernatürlichen Geschehnissen ab. Weltliche Behörden sind genau so eine Gefahr wie die Götter. Ebenfalls glaubhaft sind die Charaktere. Shadow hat Stärken und Schwächen und seine Motive sind zu jeder Zeit nachvollziehbar. Er begreift nicht immer sofort, was um ihn herum passiert, ist jedoch auch nicht auf den Kopf gefallen und stellt meist die richtigen Fragen. Wednesday hingegen wirkt gerissen und auch sehr selbstsicher und besitzt eine, den Göttern innewohnende, Arroganz. Das Buch driftet nie in Oberflächlichkeiten und Eindimensionalität ab. Alles was erzählt wird hat Hand und Fuß.
American Gods ist ein grandioses Buch und in der aktuellen Director’s Cut Version genau richtig. Es kann kein Vergleich zur Ursprungsversion gezogen werden, doch ob sie mit zwölftausend Wörten weniger eine bessere Geschichte war, kann bezweifelt werden. Das Werk kann jedem empfohlen werden, der es mag, wenn Realität und Fantastisches sich vermischen, die alte Mythologien und deren Götter interessant findet und allen, die ein gutes Buch zu schätzen wissen.
Gastrezension von Max