Martin


Ich hab’s vergeigt. Ich war einmal ein angesehener Moderator, hatte Frau und Kinder und hätte damit glücklich sein sollen. Doch stattdessen schlafe ich mit einer Fünfzehnjährigen, die sich zu meiner Verteidigung als Sechzehnjährige ausgab, und verlor dadurch alles: Meine Karriere, meine Familie. Und ins Gefängnis musste ich auch noch. Deswegen erschien es mir sinnvoll, einfach Silvester auf ein Dach zu steigen, zu springen und dem Ganzen ein Ende zu machen. Doch während ich da auf der Dachkante saß, traf ich Maureen und sie war nur die erste die meinem Leben eine andere Richtung gab.

Maureen


Mein ganzes Leben dreht sich um Matty. Er ist von Geburt an behindert und weder kann er sprechen noch sich bewegen. Er sitzt jeden Tag nur da und ich pflege ihn. Bis auf die Kirche habe ich keinen Kontakt zur Außenwelt und irgendwann kann ein Mensch einfach so nicht mehr weitermachen und das war der Grund, warum ich rauf auf das Dach bin. Ich sah dort Martin und er hatte eine Leiter um über den Zaun, der Leute davon abhalten soll zu springen, rüberzukommen. Also tippte ich ihm durch die Maschen auf die Schulter. Daraufhin zuckte er zusammen und sagte, was mir Sch… nochmal einfällt und ob es mir noch gut geht. Nun ja, diese Fluchworte haben mich da schon sehr verletzt, ich halte ja nicht viel davon. Doch hätte ich da schon Jess gekannt, wäre es mir bei Martin wohl egal gewesen.

Jess


Man, ich war halt total down. Der Arsch Chas hat einfach mit mir Schluss gemacht und dann nicht mal die Eier in der Hose mir zu sagen warum. Ist ja nicht so als hätte ich nicht versucht es herauszubekommen. Bin ihm auf Partys gefolgt und wollte nur wissen, was der verfickte Grund war. Klar werd ich da mal laut, aber ist doch normal, oder? Naja und da ich so deprimiert war, wollt ich halt vom Dach springen, um zu zeigen das der Wichser mir das Herz gebrochen hat und so. Als ich oben war wollte ich Anlauf nehmen und es einfach hinter mich bringen, aber Martin und Maureen haben sich einfach auf mich raufgesetzt. Man Scheiße, Martin der Perverse saß sogar auf meinem Gesicht. Und ich so runter von mir und er so nö und naja dann kam auch noch n Typ mit zwei großen Pizzen aufs Dach und da haben wir die ihm abgenommen und gegessen. Wusste da noch nicht, dass er eigentlich auch springen wollte.

JJ


Jetzt stehe ich hier oben auf dem Dach. In Amerika war ich mal Musiker in ner Band und wir waren echt gut. Also so richtig gut, bis alles Scheiße wurde und wir uns aufgelöst haben. Dabei wollte ich die Welt verändern. Zu allem Überfluss hat mich meine Freundin, derentwegen ich überhaupt nach England gekommen bin, verlassen und liefere nun Pizzen aus für einen Hungerlohn. Oder habe ausgeliefert, denn als mir die Pizzen von diesem Haufen abgenommen wurde war mir klar, dass ich den Job an den Nagel hängen konnte. Aber ich hatte ja eh nicht vor, den langen Weg nach unten zu nehmen und so war es mir egal. Obwohl mir der Gedanke an Selbstmord beim Anblick dieser Gestalten vergällt wurde. Der Freitod sollte etwas Poetisches sein, so wie bei Virginia Wolf und anderen Größen. Aber das hier? Ich hätte nie gedacht, dass der Abend damit endet, einen Nicht-Selbstmord-Pakt bis Valentinstag zu schließen und mich öfter mit diesen Leuten treffen werde.

 

 

A LONG WAY DOWN erzählt die Geschichte von vier Menschen in London, die wegen unterschiedlichster Problem zu Sylvester vom Dach springen wollen, aber durch ihre Begegnung den Entschluss fassen, damit zu warten und sich immer mal wieder treffen wollen. Das Buch erzählt dabei immer aus der Perspektive einer der vier Protagonisten. Dabei unterscheidet sich auch der Schreibstil. Maureen beispielsweise mag keine Schimpfwörter und Flüche, weshalb diese immer mit „…“ maskiert werden. Bei Jess hingegen existiert keine wörtliche Rede und sie erzählt Gespräche immer implizit. („Und dann er so […]und dann ich so […]“ Hat da jemand Little Britain gesagt?)

Nick Hornby schafft es dabei, wie schon in ABOUT A BOY, sehr gute Dialoge zu schreiben, bei denen der Leser gerne auch mal laut auflachen muss. Der typisch britische Humor halt. Doch das Buch ist weit entfernt davon, sich über den Suizid lustig zu machen. Der Autor kreiiert eine angemessene Schwere, ohne Klischees zu erfüllen oder über das Ziel hinauszuschießen. Selbstmord scheint eben für di Protagonisten die einzig akzeptable und mögliche Lösung.

Die Schwere der Thematik bietet eine Vielzahl von Lebensweisheiten, die der Autor dem Leser nun ans Herz legen könnte. Doch das Buch nähert sich dem auf eine ganz andere Weise. Es will unterhalten, aufheitern und zum Lachen bringen. Absurde Situationen zwischen vollkommen unterschiedlichen Menschen erschaffen und wie sie sich immer wieder treffen, obwohl sie kaum Gemeinsamkeiten haben, und sich gegenseitig helfen wollen. Es will nicht irgendeine Erkenntnis schaffen. Und für das, was es sein will, ist es wirklich gut. Hier und da zeigen sich kleine Längen, doch immer wieder komische Situationen und Gespräche halten den Leser bei der Stange, während die Geschichte sich zu einem befriedigenden Ende entwickelt, ohne in ein besonderes Extrem oder Klischee auszuschlagen.

Die Charaktere wachsen dem Leser ans Herz, obwohl es nicht jeder verdient hätte. Das Buch ist für die, die auf den britischen Humor stehen, einer gewissen Schwere nicht abgeneigt sind und beim Thema Selbstmord nicht Reißaus nehmen. Nick Hornby trifft stets den richtigen Ton und von daher ist A LONG WAY DOWN eine klare Empfehlung.

 

 

Gastrezension von MAX


4/5