Hier bin ich.

Ein einfacher Satz, der sagt, dass ich da bin. Ich kann dich vielleicht nicht verstehen, kann nicht einmal erahnen, wie du dich fühlst. Ich kann deinen Schmerz nicht lindern und nicht mit deiner Trauer umgehen. Aber eins bin ich: ich bin hier.

Schon der Titel bedeutet Schwere. Mit großen Lettern ist er auf den Umschlag gedruckt, scheint uns fast anzuschreien: HIER BIN ICH. Es ist dieselbe Schwere, die uns auf den nächsten 700 Seiten begleiten wird. Dabei sind es weniger die buchstäblichen Worte und Sätze, die uns erdrücken. Foer schreibt mit einer Wortgewandtheit und ihm eigenen Schönheit, dass es eine Freude ist, Satz für Satz in sich aufzunehmen. Nein, vielmehr ist es der Inhalt und die Bedeutung hinter allem, was am Ende nicht nur die Protagonisten des Buches niederdrückt. Besonders betroffen sind Jacob und Julia.

Jacob will ein guter Vater für seine Kinder und ein ebenso guter Ehemann sein.

Doch was bei seinen Kindern zu gelingen scheint, scheitert kläglich in seiner Ehe. Die Last des Auseinandertreibens der ehemals Liebenden, das eigene Eingeständnis des unglücklich Seins und die Frage, ob und wie viel die Kinder von alldem mitbekommen erdrückt sowohl sie als auch ihn. Jacob ist ein große Zweifler. Sein Selbstvertrauen ist ihm in all den Jahren abhanden gekommen. Er ist weich und herzlich, er will es allen Recht machen. Und das ist genau das, was Julia so sehr an ihm hasst.

Jacob hingegen empfindet Julia als kalt und herzlos, egoistisch gar. Dabei versucht sie nur aus allem auszubrechen. Endlich irgendwie glücklich sein zu können, mehr verlangt sie vom Leben ja gar nicht. Doch sind sie beiden verantwortlich für diese drei Jungen, die sie gemeinsam in die Welt gesetzt haben. Der Roman spricht von so vielen Konflikten – innerlich als auch äußerlich – lässt aber trotzdem den Zusammenhalt und die Liebe in einer Familie spüren. Die Kinder sind jung, Sam wird gerade dreizehn und doch verstehen sie, was mit ihren Eltern passiert. Wissen es, noch ehe Julia und Jacob bereit sind, es sich selbst und einander einzugestehen. Aber das ist nur ein kleiner Teil ihrer eigenen Welt. Diese drei Jungen sind im Begriff, zu eigenständigen Erwachsenen zu werden. So will Sam keine Bar Mizwa und schreibt eine Liste mit schmutzigen Wörtern, er ist verliebt in dieses Mädchen und alles wofür er lebt ist sein Avatar in einem Online Spiel. Das wiederum zu Max‘ größtem Problem wird. Und Benji ist zu klein, um immer alles mitzubekommen. Er sehnt sich lediglich nach Aufmerksamkeit, die es ihm ermöglicht, all seine Fragen zu beantworten.

Die Entscheidungen der Großväter

Als wäre der innere Konflikt jedes einzelnen Mitglieds dieser Familie und in ihrer Gesamtheit nicht schwer genug, so bürdet die Last des Judentums zusätzlich auf ihren Schultern. Keiner von ihnen glaubt, doch der Tradition und des Stammbaumes willens erhalten sie das, was sie sind. Diskussionen sind da vorprogrammiert, gerade dann, als Verwandte aus Israel anreisen, deren Großväter sich damals anders entschieden haben, als Jacobs Großvater. Ein Leben als Jude in Israel bedeutet in ihren Augen etwas ganz anderes als ein ungläubiger Jude in Amerika zu sein. Als dann während des Aufenthalts der Israelis in ihrem Land ein Krieg ausbricht und sie nicht dorthin zurückkehren können, spitzt sich der Konflikt der Familie immer weiter zu.

700 Seiten sind lang.

Je länger man liest, desto bewusster wird einem das. Denn der eigentliche Zeitraum, der hier behandelt wird – abgesehen von einigen Ana- und Prolepsen (Rück- und Vorblenden) – umfasst nur ein paar Monate. Die Haupthandlung beginnt kurz vor Sams Bar Mizwa und endet ebenso kurz danach. Diese kurze Zeitspanne jedoch reicht aus, um das Leben der Familie komplett auf den Kopf zu stellen. Alles verändert sich. Alles will sich verändern. Allerdings macht es der Autor hier einem nicht leicht, wirklich die eigene Leselust bis zum Ende aufrecht zu erhalten. Ungefähr ab der Mitte des Buches wird es schwierig, wirklich mit Begeisterung bei der Sache zu sein. Ereignisse und Diskussionen ziehen sich endlos in die Länge, innere Monologe werden geführt. Weniger Seiten hätten dem Roman durchaus gut getan.

Nichtsdestotrotz: Allein die Wortgewandtheit des Autors lässt einen Staunen. Die Dialoge schaffen ihre eigene Perfektion. Sie sind bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, witzig, spontan und voller Denkanstöße. Es ist ein Roman über das Zweifeln, über das Erkennen, über die Ehe und über die kindliche Jugend. Über das Entscheiden, über das Glück und vor allem ein Buch über Familie.


4/5