RACHEL
Die eigentliche Protagonistin des Romans fährt Tag für Tag, Woche für Woche von Ashbury nach London. Dort hatte sie einmal Arbeit, doch die hat sie schon längst verloren, wegen ihrer Alkoholsucht. Vor ihrer Mitbewohnerin schämt sich Rachel so sehr, dass sie weiterhin so tut, als wäre alles wie immer. Und fast jedes Mal, hält der Zug aufgrund einer Signalstörung auf dem Weg nach Witney, Rachels ehemaliger Heimat. Dort lebte sie glücklich mit ihrem Mann, in dem Haus ihrer Träume und jeden Tag hörte sie die Züge. Sie mochte das Geräusch und sie mochte ihren Mann. Doch dann kam der Alkohol, die Trennung, eine neue Frau und Rachels gesellschaftlicher Absturz. Und genau diese Häuser, in ihrer ehemaligen Straße, kann Rachel vom Zug aus sehen. Doch sie beobachtet nicht ihr altes Haus, sondern eines in der Nachbarschaft. Dort lebt ein junges Pärchen. Die beiden verkörpern alles, was Rachel sich immer gewünscht hat. Liebe, Zuneigung, Geborgenheit. Sie gibt ihnen Namen und eine Vita. Das macht sie irgendwie glücklich. Bis zu dem Tag, als sie aus der Zeitung erfährt, dass die Frau – Megan – als vermisst gilt. Und Rachel weiß, sie war an diesem Abend in Witney, aber sie kann sich an nichts erinnern.

MEGAN
Megan und Scott leben in Witney und sind längst nicht das Traumpaar, dass Rachel in ihnen sieht. Dennoch sind sie glücklich miteinander. Glauben sie. Scott ist ein eifersüchtiger Mann und Megan eine Frau mit Geheimnissen. Geheimnisse, die sie schon ein Leben lang mit sich rumträgt, die sie versucht zu verdrängen, aber nicht vergessen kann. Sie hat sich in Witney ein Nest gebaut, in dem sie sich versteckt. In dem sie Scott vermisst, wenn er nicht da ist, aber es auch nicht erwarten kann, dass er morgens aus dem Haus geht. Denn Megan liebt die Freiheit. Sie liebt auch Scott, doch manchmal kann sie es nicht unterdrücken. Diesen Drang. Und dann lernt sie Kamal kennen, ihren Therapeuten, der so einfühlsam ist und ein Ohr für sie hat. Sich ihre Geschichte anhört und sie nicht verurteilt. Dann trifft sie eine folgenschwere Entscheidung.

ANNA
Rachel musste nach der Trennung das Haus verlassen, dafür kam Anna. Und schenkte der Familie kurz darauf ein Kind. Sie will es beschützen, will ihre Liebe zu Tom beschützen und will vor allem Rachel loswerden, die sie nicht in Ruhe lässt, die dauernd vor ihrem Haus rumlungert, sie nachts anruft, ihrem Mann Nachrichten schreibt. Sie will diese Frau aus ihrem Leben haben. Sie will Tom für sich ganz alleine.

Drei Frauen erzählen abwechselnd die Geschehnisse aus ihrer Sicht bis am Ende alles zu einen schlüssigen Ende zusammenläuft. Rachel versinkt oft in Selbstmitleid. Sie trinkt, weil sie es will. Oft diskutiert sie mit sich, weiß, dass sie nichts trinken sollte und tut es dann doch. Wohl wissend, dass sie andere enttäuscht. Dass sie sich nicht unter Kontrolle hat. Aber es ist ihr egal. Alle drei Frauen sind im selben Maß sympathisch, wie auch unsympathisch.
Rachel, die gern trinkt und sich in den Mittelpunkt schiebt, deren Mann sie aber für eine andere verlassen hat und ihr nicht beistand, als sie es am dringendsten benötigte. Sie will helfen, Megan zu finden, doch wer glaubt einer alkoholsüchtigen Stalkerin?
Megan, die nicht mit ihrer Schuld leben kann und sich in Abenteuer flüchtet, aber schon viel zu viel allein durchstehen musste.
Und Anna, die ihren Mann und ihr Kind liebt, aber nicht sieht, wie viel sie durch ihr Handeln zerstört hat.
So ist man als Leser geneigt, keine der drei Protagonistinnen Partei zu ergreifen und alles aus einer Distanz zu beobachten. Diese Distanz ist nicht hundertprozentig sachlich, aber es ergibt sich langsam ein Bild. Ein Puzzle, das sich aus mehreren Teilen zusammensetzt. Und am Ende erkennt man zusammen mit allen drei Frauen die grausige Wahrheit.

Mitreißend geschrieben, interessant erzählt und am Ende richtig spannend.


4/5