Achtung!
Dies ist der zweite Roman der Bill-Hodges-Trilogie. Der erste Band ist Mr. Mercedes. Dieser Artikel könnte deshalb eventuell Spoiler enthalten.

Wenn ein Autor sich in einem anderen Genre versucht, ist das immer ein Risiko. Und der Thriller „Mr. Mercedes“ strotzte nur so von Vorurteilen und Stereotypen und war auch inhaltlich das, was man als einen „Thriller aus dem berühmten Thrillerbaukasten für Anfänger“ bezeichnen könnte. Nur eben großartig geschrieben.

Im zweiten Band macht King einiges besser. Der Fokus liegt nicht mehr auf dem ehemaligen Detective Hodges, sondern auf zwei Protagonisten die eine besondere Verbindung haben. Bill Hodges und sein „Team“ treten dabei nur am Rand auf und das gibt der Geschichte viel mehr Antrieb, da die anderen beiden Figuren und das Geschehen drumrum so besser in den Fokus des Leser gerückt werden.
Zunächst geht es um Morris Bellamy. Zusammen mit ein paar ebenfalls vorbestraften Kumpanen begibt er sich zum Haus des Schriftstellers John Rothstein. Dieser hat schon lange die Schriftstellerei aufgegeben und lebt nun zurückgezogen auf seinem Anwesen. Doch Morris ist besessen von Rothstein. Seine Trilogie um den fiktiven Jimmy Gold hat zunächst das Leben des jungen Bellamy beeinflusst. Enttäuscht über den Wandel des Protagonisten im letzten Band hat er seinem Lieblingsautor nie verziehen. Bei dem Einbruch ins Haus von Rothstein gelangt er an eine Menge Geld und, was das Wichtigste ist, an unveröffentlichte Notizbücher. Doch bevor  Bellamy diese lesen kann, muss er die Tasche mit dem Diebesgut verstecken und landet selbst im Gefängnis.

Fast dreißig Jahre später findet ein Junge namens Peter Saubers durch Zufall die vergrabene Tasche. Seine Familie steht kurz vor dem Verfall. Sein Vater wurde vom Mercedes Killer schwer verletzt und der finanzielle Ruin steht kurz bevor. So beschließt Peter seinen Eltern heimlich Monat für Monat das Geld zukommen zu lassen. Für ihn selbst bleiben die Notizbücher, die ihn ebenso in den Bann schlagen wie einst Bellamy. Doch als das Geld zur Neige geht und die finanziellen Probleme abermals beginnen, entschließt sich der Junge zu einem folgeschweren Schritt.

Beiden Protagonisten ist zu eigen, dass sie das, was ein anderer geschrieben hat, wertschätzen und den Wert von Literatur nicht nur an Zahlen messen, sondern an der Geschichte, die der Autor niedergeschrieben hat. Sie wissen um die Macht der Worte und wie diese ein Leben verändern und beeinflussen können. Was sie unterscheidet ist der Hang zur Realität und das Wissen, dass nicht alles von etwas abhängt, das in einem Buch geschrieben steht.
Für jemanden wie mich, der schon, seit er denken kann, jedes Buch verschlingt, was er in die Hände bekommt und für den Geschichten einen ebenso hohen Stellenwert haben, wie für die Protagonisten, ist das, was hier erzählt wird, genau das Material was es braucht, um mich zu packen. Eine Geschichte, die man geliebt hat und deren Fortsetzung handgeschrieben in Notizbüchern steht, von denen nur wenige Menschen Kenntnis haben und der Einzige zu sein, der die Worte gelesen hat und der weiß wie es weiter geht, ist einfach eine Faszination, die wahrscheinlich nicht jeder nachvollziehen kann. Umso mehr hofft man natürlich, dass am Ende alles gut wird und die Notizbücher ihre Veröffentlichung finden.

Wie bereits erwähnt macht King in diesem zweiten Bill-Hodges-Roman vieles richtiger als es noch in Mr. Mercedes der Fall war. Zunächst beginnt das Buch mit einer sich abwechselnden Erzählung zwischen den Geschehnissen in der Vergangenheit des eigentlichen Diebes und der Situation von Peter Saubers. Später liegt der Fokus mehr auf dem Jungen und seiner Verbindung zu seiner Familie und dem inneren Konflikt. Erst im letzten Drittel des Buches werden die Dienste Bill Hodges in Anspruch genommen. Es ist ziemlich egal, was King schreibt, er hat dieses Talent seinen Leser mitzureißen, ihn von Seite zu Seite fliegen zu lassen und dieses mal lässt er am Ende einen kleinen Hoffnungsschimmer zurück, dass ein Thriller nicht immer ein typischer Thriller bleiben muss. Und für jemanden wie mich, der dieses Genre nur in Maßen ertragen kann, ist dieser Hoffnungsschimmer das, was es braucht, um in Spannung auf den letzten Teil zu warten.
Und lieber Stephen King, schreibst du noch die Bücher über Jimmy Gold? Das scheint ein ziemlich cooler Typ zu sein.

 

 


4/5