Von der Rückkehr der Magie

Wir schreiben das Jahr 1806. England befindet sich mitten im Vierten Koalitionskrieg gegen Frankreich und ihren Kaiser Napoleon Bonaparte. Doch Gilbert Norrell schert sich wenig um den Krieg, denn ihn beschäftigt nur die Magie. Beziehungsweise die Aufgabe, die Zauberei wieder nach England zu bringen, da er der letzte praktische Zauberer auf der ganzen Insel ist. Durch eine Wette mit den theoretischen Zauberern, die ihren Berufsstand aufgeben wollten, wenn Mr. Norrell ihnen einen echten Zauber zeigt, gelangte er das erste Mal in den Fokus der Öffentlichkeit.

Diesen initialen Funken nutzt er, um seine Hilfe im Krieg anzubieten und schon bald ist die Magie wieder in aller Munde, so dass auch ein gewisser Jonathan Strange sich dieses Themas nicht erwehren kann und bald ein unglaubliches Zaubertalent an den Tag legt, was ihm eine Lehre unter Mr. Norrell einbringt. Doch dadurch beginnen erst die Probleme für die beiden unterschiedlichen Charaktere und auch für England…

Können Sie Wahrheit und Lüge unterscheiden?

Jonathan Strange & Mr. Norrell ist der Debütroman der britischen Autorin Susanna Clarke. Er ist in einem historischen Setting angesiedelt und vermischt reale Gegebenheiten mit den fiktiven Ergänzungen über Magie und Elfen. So sind die Koalitionskriege gegen Napoleon ein großer Bestandteil in den ersten beiden Teilen des Buches und erst später fokussiert sich die Geschichte auf die Protagonisten und rückt ab von den globalpolitischen Geschehnissen. Ihr gelingt es dabei, diese Verknüpfungen organisch einfließen zu lassen und so trotz phantastischer Anteile die Geschichte nicht komplett zu verzerren.

So spielt ein Teil der Geschichte auf der iberischen Halbinsel, auf der General Wellington die spanischen und portugiesischen Guerillakämpfer unterstützt, während Jonathan Strange mit seiner Magie Wunder wirkt und so den Sieg erleichtert. (Spoiler! … Wenn man in Geschichte nicht aufgepasst hat)

Es gelingt Clarke, eine organische Welt zu erschaffen, die glaubwürdig wirkt. Nicht nur selten wird der Leser bei dieser Mischung an Harry Potter erinnert, wo auch Magie und „unsere Welt“ Hand in Hand gehen.

Von Menschen und Elfen

Der Fokus der Geschichte liegt auf vier handelnde Personen. Da wäre zum einen Gilbert Norrell. Klein und verkniffen hütet er seine Zauberbücher wie einen Schatz und lässt niemanden auch nur in ihre Nähe. Jonathan Strange dagegen ist weltoffen und mit einer intelligenten Frau verheiratet, die ihn ebenso sehr liebt, wie er sie. Als Schüler von Strange bildet er sich weiter, überflügelt bald seinen Meister und entwickelt sich bald zum Konkurrent, den Norrell um jeden Preis ausschalten will.

Doch nicht nur Strange und Norrell geraten aneinander, sondern auch ein Elf legt sich mit den Zauberern an, nachdem er von Norrell für eine Wiedererweckung herbezitiert und seiner Einschätzung nach stark beleidigt wurde. Der Elf – im Buch auch als Mann mit Haar wie Distelwolle bekannt – stiftet so ein wenig Chaos in Londons High Society. Er wird bald zur starken Bedrohung für die Insel, als er einen Diener zum König Englands machen will.

Die Charaktere sind alle gut ausgearbeitet. Nicht nur die Protagonisten bekommen ein Profil sondern auch viele der Nebencharaktere. So wachsen über die drei Teile, in die das Buch eingeteilt ist, manche Charaktere ans Herz, während andere fast verachtenswert erscheinen.

Über 1000 Seiten Abwechslung

Es kann noch so viel mehr zur Handlung erzählt werden und trotzdem würden große Bereiche nicht abgedeckt sein. Die Geschichte strotzt vor Inhalt, ohne jedoch überladen zu wirken. Die Handlung nimmt zehn Jahre ein und ständig passiert immer was Interessantes, das den Leser fesselt. Dabei werden unter anderem Elemente von Krimis, Horror, Fantasy und Historienromanen eingeflochten und lockern so immer wieder die Handlung auf. Die Autorin beweist dabei ein Händchen für Abwechslung und immer wenn der Leser vom Einen genug hat, kommt was anderes.

Neben dem eigentlichen Text gibt es auch immer wieder Fußnoten. Diese reichen von einzelnen Zeilen bis hin zu seitenübergreifenden Geschichten, die nicht direkt mit der Handlung verwoben sind, aber immer wieder Details über dieses fiktive England offenbaren, die die Welt greifbarer machen. (Ähnlich wie bei Die Brautprinzessin)

Natürlich können Länge nicht immer vermieden werden und gerade zu Beginn dauert es etwas, bis die Geschichte an Fahrt aufnimmt. Ab einem gewissen Punkt kann das Buch nicht mehr aus der Hand gelegt werden.

Fazit

Noch so viel mehr könnte über dieses Buch erzählt werden. Doch der Lesespaß soll nicht genommen werden und wer sich mal wieder einen Wälzer vornehmen will, der greife da zu. Die Geschichte wird mit einem Tolkien-Epos verglichen, doch im Gegensatz zum Herr der Ringe wird der Leser hier nicht mit der Beschaffenheit von Grashalmen gelangweilt sondern immer wieder überrascht. Es wurde gelacht, geweint, gezittert und entspannt, was dieses Buch zu einer glasklaren Empfehlung macht.


5/5