Sitzen Sie gemütlich in Ihrem Sessel?

Ja?

Haben Sie alles, was Sie brauchen?

Fernbedienung griffbereit? Ein kühles Bier? Ein guter Wein? Für die Kinder ein Softgetränk?

Gut, gut, dann kann es ja los gehen.

Willkommen zu einer der wohl innovativsten Shows der letzten Jahre. Ja, was sage ich: der letzten Jahrzehnte!

Kommen Sie näher und schauen Sie ganz genau hin.

Können Sie sie sehen? Ja genau diese Menschen in den grauen Gewändern.
Das sind unsere Gefangenen. Sie müssen arbeiten, arbeiten und arbeiten. Sehen Sie dort diesen Mann? Wie ihm der Schweiß von der Stirn läuft?
Und da! Diese Frau! Sie weigert sich doch tatsächlich ihre Aufgabe zu erfüllen. Aber da kommen sie schon gerannt, unsere Kapos. Die werden ihr schon zeigen, nach welchen Regeln hier gespielt wird. Sehen Sie doch, wie ihr Vernunft eingeprügelt wird. Hätte Sie gehorcht, wäre das nicht passiert. Und wissen Sie, was das Beste ist? Sie müssen gehorchen, denn es geht um ihr Leben.

Ja Sie haben richtig gehört: Das Leben der Gefangenen hängt zum einen von Ihrer Kondition und zum anderen von der Gunst der Kapos ab. Und sie können mit dabei sein, wenn wir Ihnen zeigen, wie die Schwächsten ausgewählt werden. Sie können live dabei sein, wenn die Angst in Ihren Augen zu sehen ist und sie begreifen, dass die letzte Sekunde ihres Lebens geschlagen hat.
Ich hoffe, Sie haben es gemütlich.

Reality TV auf die Spitze getrieben.

Wenn wir heute manchmal den Fernseher einschalten und durch die Sinnlosigkeit all der TV-Programme zappen, fragen wir uns doch manchmal, wie tief die Menschheit noch sinken kann. Es gibt fast nichts, was es nicht gibt. Wir können bei allem live dabei sein:

Unzählige Dating-Shows, bei denen man die große Liebe finden will. Next. Und wenn man dann doch bleiben darf, gibt es solche Profis, die das passende Hochzeitskleid aussuchen. Als nächstes kann man seine eigene Hochzeit in Konkurrenz mit drei anderen Paaren stellen, um so seine eigene Party bewerten zu lassen vor tausenden von Zuschauern. Um vielleicht eine Reise gewinnen zu können. Die Kameras schalten nicht mal ab, wenn man seine eigene Brut gebärt. Und schon wieder kann man in den Kampf mit anderen Müttern ziehen und sich von denen die eigenen Erziehungsmethoden analysieren lassen. Bis einem die Nanny helfen muss. Des Hausfrauen und Mutter-Daseins überdrüssig bringt man durch einen Frauentausch wieder Pepp in sein Leben. Wenn einen das Leben trotzdem übel mitgespielt hat, kann man sich extrem schön machen lassen. Und hat das Erniedrigungsprogramm von The Biggest Loser nichts geholfen, kann man sich vor laufenden Kameras auch das Fett absaugen lassen. Gestorben wird ja immer, vielleicht gibt es bald auch am Ende die Möglichkeit, die eigene Beerdigung medienwirksam zu gestalten.

Und wofür das alles?

Für die gelangweilte Menschheit, die zu Hause vor ihrem Bildschirm sitzt und sich sich am Leid anderer erfreut. Und sich selbst auf die Schulter klopft, wie klug man doch im Vergleich zu dem eben Gesehenen ist. Man beschwert sich über die Sinnlosigkeit des Programms, über die Menschenunwürdigkeit einiger Sendungen. Und doch spricht man darüber, denn gesehen hat man es wohl.

„Konzentration“ ist nur eine weitere solche Show. Die „Kandidaten“ wurden nicht etwa gecastet, sondern einfach von der Straße weggefangen. Nur die Kapos mussten sich bewerben und die härtesten und emotionslosesten wurden genommen. Man baut ein Konzentrationslager und lässt die Kameras laufen. So einfach kann Fernsehen sein. So pervers. Eigentlich ist es schon aus heutiger Sicht wenig verwunderlich, wie gering der Widerstand zu dieser Sendung ist. Nicht einmal die Regierung schaltet sich ein. Alle sind gefangen von der Faszination. Jeder will diese Show sehen. Live den Tod mit ansehen. Die Erniedrigung.

Ganz besonders in den Fokus rückt hierbei Kapo Zdena. Ganz besonders fasziniert sie eine Gefangene, deren Namen sie unbedingt erfahren möchte. Sie ist so schön, so geheimnisvoll. So stolz und erhaben, obwohl sie genauso oder noch mehr als alle anderen Gefangenen leiden muss. Die unbekannte Frau ist nicht nur der Liebling des Kapos, sondern auch der Liebling der Zuschauer.

Nothomb ist eine starke Erzählerin.

Besondere Kraft jedoch haben ihre Dialoge. Ihre Sätze bildet sie stark und prägnant, wodurch eben die Konversation zweier Menschen einem Schlagabtausch gleicht, dem man mit aller Faszination folgt. Hier jedoch bleiben gerade diese Dialoge stark im Hintergrund. Nothomb möchte das Szenario erzählen. In diesem Buch will sie, dass es um das Ding an sich geht. Um die Idee dahinter. Die Kritik. In gewohnter Manier hält sie auch die erzählerischen Passagen sehr kurz, was dazu führt, dass die emotionale Bindung des Lesers zu dem Buch leidet. Sie gibt uns zu wenig Zeit uns an das Szenario zu gewöhnen und uns einzufühlen. Denn sofort reißt sie uns heraus und präsentiert uns den nächsten kurzen Happen.

Trotzdem bewegt sie das eigene Denken. Denn die Idee ist eine gute. In der Umsetzung gibt es einige Schwachstellen, dennoch bleibt es nicht aus, über das eigene Fernsehverhalten und das was uns präsentiert wird nachzudenken.

Doch was hilft alles Nachdenken, wenn es am Ende ohne Handlung bleibt.

 


3/5