„Kosmetik ist die Lehre von der universellen Ordnung, die allerhöchste, weltbeherrschende Moral […].“

Stell dir vor, du sitzt am Flughafen. Dein Flieger verspätet sich, was an sich ärgerlich genug ist, aber gerade als du dich in deinem Buch vertiefen willst, setzt sich ein Fremder neben deinen Platz. Ohne zu fragen, spricht er dich an und hört gar nicht mehr auf zu reden. Du versuchst dich dem zu entziehen, stehst auf, wechselst den Platz. Doch er folgt dir. Sogar als du dich zwischen zwei fremde Menschen setzt, bleibt er an deiner Seite. Da du ihn so nicht abwimmeln kannst, gehst du zurück an deinen ursprünglichen Platz und versuchst es mit Ignoranz, doch die Stimme des Fremden dringt unaufhörlich an dein Ohr und dann fängt er an von Dingen zu reden, die umso ungeheuerlicher werden, je länger er redet.

So und nicht anders ergeht es Jérôme Angust. Eigentlich will er nur seine Ruhe, doch der Fremde, der sich ihm als Textor Texel vorstellt, was wiederum Angust ziemlich lächerlich findet, lässt ihm diese nicht.
Immer wieder versucht unser wartender Protagonist die Strategie zu wechseln, um dieser unangenehmen Situation zu entgehen. Amélie Nothomb wirft uns hier in eine Situation, die wohl jeder von uns schon in einer harmloseren Variante erlebt hat und die immer bedrängender wurde, je länger sie anhielt. Aber nicht allein das macht das Böse in diesem kurzen Essay aus. Denn hört man dem Fremden genau zu, wird schnell klar, dass er nicht nur ein abstoßender Zeitgenosse ist, sondern dass eine gewisse Taktik hinter dem steckt, was er sagt und tut.

Und so erwischt uns Nothomb auf kaltem Fuß, als die erste von insgesamt zwei Wendungen herannaht und übergießt uns dann am Ende mit einem Eimer voll eiskaltem Wasser.
Fast der ganze Text ergeht sich in Dialogen zwischen Textel und Angust. Sie reden nicht nur: sie streiten, ignorieren, widersprechen, sticheln, bohren, hassen sich. Und das alles in ein paar Seiten.
Selten konnte mich ein Buch inhaltlich und auch sprachlich so überraschen.


4/5